Dehnen: Was bringt Stretching wirklich?
Wie sinnvoll ist es tatsächlich, die Muskulatur vor oder nach dem Training zu dehnen? Sport- und Physiotherapeut Eser Cankaya verrät mehr.
Eser Cankaya ist Sport- und Physiotherapeut sowie Athletik-Trainer. Während seiner bisherigen Laufbahn war er unter anderem für die Fußball-Oberliga und den FC St. Pauli (U19, U23, Nachwuchsleistungszentrum) tätig. Seit 2014 ist er selbstständig und betreut zahlreiche Profisportler und Vereine. 2019 hat er seine eigene Sport- und Physiopraxis in Hamburg eröffnet.
Sein Motto: Fit werden kann jeder, fit bleiben nicht.
Der Bewegungsexperte weiß: „Nur ein effektives Training kann Leistungen steigern und gleichzeitig Verletzungen vorbeugen. Die Vielzahl neuer Fitnesstrends macht es dem Einzelnen schwer, Methoden und Sportarten zu finden, die zu den individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen passen. Daraus ergibt sich ein großes Fehlerpotenzial. Ich sehe meine Aufgabe darin, aktive Menschen aufzuklären und zu unterstützen sowie ambitionierten Sportlern zu besseren Leistungen zu verhelfen und sie nach Verletzungen wieder zurück an ihre Sportart zu führen. Dabei kombiniere ich Evidenz mit Erfahrung, statt blindlings aktuellen Trends zu folgen.“
Was passiert überhaupt beim Stretching?
Kurz gesagt wird dabei ein bestimmter Muskel oder eine Muskelgruppe in die Länge gezogen. Dehnen kann man sich auf verschiedene Arten.
Beim statischen Dehnen begibt man sich in eine Position und verweilt dort für einige Sekunden oder sogar Minuten. Hat man sich an die Spannung gewöhnt, geht man mit jedem Atemzug noch ein wenig tiefer in die Dehnung.
Beim dynamischen Dehnen wird hingegen eine wiederholte, federnde Bewegung ausgeführt.
Aufwärmen und Aktivieren ist wichtiger als Dehnen
Läufer verbinden mit gezielten Dehnübungen vor dem Training zumeist die Hoffnung, Verletzungen vorzubeugen oder Muskelkater zu vermeiden. „Wissenschaftlich konnten diese Effekte bislang jedoch nicht nachgewiesen werden“, sagt Eser Cankaya. Verletzungen wiederum würden zumeist durch falsche Bewegungen oder Überlastung verursacht. Stretching allein eignet sich deshalb seiner Meinung nach nicht, um auf sportliche Leistungen vorzubereiten.
Zum Aufwärmen hat der Experte andere Empfehlungen: „Ratsam ist es auf jeden Fall, das Aufwärmen den sportlichen Anforderungen anzupassen und das Nervensystem auf die anstehende Belastung vorzubereiten. Das Aufwärmen und Aktivieren sollte in den ersten fünf bis zehn Minuten des Trainings stattfinden – bei Läufern am besten durch dynamische gymnastische Bewegungen, die gleichzeitig Flexibilität erfordern. Ideal wäre es, anschließend das Lauf-ABC durchzuführen – es bietet eine gute Verletzungsprophylaxe, die jeder Läufer in sein Training einbauen sollte.“
Die Mobilität und Flexibilität ganzheitlich trainieren
Unabhängig vom Lauftraining ist es auch für Läufer ratsam, ihre Beweglichkeit mit einem ganzheitlichen Mobilitätstraining zu verbessern. Eser Cankaya rät allerdings dazu, Lauf- und Mobilitätstraining zeitlich voneinander zu trennen.
„Neben den klassischen Dehnübungen sind Übungen aus dem Yoga eine gute Möglichkeit, die Mobilität zu erhöhen“, so der Experte. „Yoga ist ein sehr gutes Faszientraining. Faszien sind das Bindegewebe, das jeden Muskel im Körper umhüllt. Im Idealfall sind Faszien elastisch und ermöglichen uns ein Optimum an Beweglichkeit.“ Sind die Fasern – zum Beispiel durch Bewegungsmangel – verklebt, verlieren sie ihre Elastizität.
Die Folge: Die Beweglichkeit ist eingeschränkt.
Mobilitätsübungen für Läufer
Eser Cakaya hat einige effektive Mobilitätsübungen zusammengestellt, die ihr zwei bis drei Mal pro Woche unabhängig vom Lauftraining absolvieren könnt. Jede Übung wird idealerweise drei Mal ausgeführt und 10 bis 30 Sekunden gehalten.