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Gesundheit 04/2022
Eine Ärztin tastet die Schilddrüse einer Patientin ab.

Oft unterschätzt: So wichtig ist unsere Schilddrüse

Brüchiges Haar, Antriebslosigkeit, Gewichtszunahme – die Symptome einer Schilddrüsenerkrankung sind vielseitig und deshalb oft schwer zuzuordnen. Umso wichtiger ist es, dass wir die Funktionen des kleinen Organs unterhalb unseres Kehlkopfs besser verstehen und Symptome richtig deuten können.

Schilddrüsenerkrankungen sind häufig und bleiben oft unentdeckt. Bei welchen Symptomen Sie einen Arzt aufsuchen sollten, welche Erkrankungen der Schilddrüse es überhaupt gibt und was Sie selbst tun können, um Ihre Schilddrüse zu stärken, sagt uns Dr. Nikolaus Schmidt-Sibeth, medizinischer Leiter bei unserem Kooperationspartner TeleClinic, im Interview.

Doktor Nikolaus Schmidt Sibeth
Dr. Nikolaus Schmidt-Sibeth, medizinischer Leiter bei TeleClinic
© TeleClinic

Herr Dr. Schmidt-Sibeth, welche Funktion hat die Schilddrüse überhaupt?

Dr. Schmidt-Sibeth: Unsere Schilddrüse ist ein kleines, schmetterlingsförmiges Organ, das nicht weiter auffällt, wenn es gesund ist. Aber wehe, wenn nicht. Dann gerät der Körper aus dem Gleichgewicht, denn ohne die von der Schilddrüse produzierten Schilddrüsenhormone geht nichts. So beeinflussen diese Hormone zum Beispiel das Herz-Kreislauf-System, den Magen-Darm-Trakt, das Nervensystem, sie steuern den Stoffwechsel, das Wachstum von Knochen und den Eiweißaufbau. Kurz, ohne Schilddrüse und die von ihr gebildeten Hormone können wir nicht leben. Deshalb wird bei Neugeborenen gleich nach der Geburt mit ein wenig Blut aus der Ferse getestet, ob die Schilddrüse auch richtig funktioniert. Tut sie das nicht, muss gleich mit der richtigen Behandlung begonnen werden, damit die gesunde Entwicklung von Körper und Geist nicht gefährdet ist.

Wie genau äußert sich eine Über- oder Unterfunktion der Schilddrüse und welche Ursachen gibt es dafür?

Dr. Schmidt-Sibeth: Vergleichen Sie die Schilddrüsenhormone vereinfacht mit dem Gaspedal in Ihrem Auto. Wenn zu viele Schilddrüsenhormone ausgeschüttet werden, dann ist die Aktivität in Ihrem Organismus erhöht. Ihr Körper steht quasi dauerhaft auf dem Gaspedal. Sie merken, dass (in 70–90 Prozent der Fälle) Ihr Halsumfang zunimmt, weil die Schilddrüse vergrößert ist, Sie eine innere Unruhe verspüren, vielleicht sogar „feinschlägig“ mit Ihren Händen zittern. Der Schlaf kann schlechter werden, Sie haben einen erhöhten Puls, schwitzen, nehmen ungewollt Gewicht ab, haben einen weichen Stuhl, Durchfälle oder häufiger Stuhlgang.

Bei der Unterfunktion fehlt sozusagen die Energie für Ihren Körpermotor. Antriebsarmut, Verlangsamung, Desinteresse, schnelles Frieren, kühle, trockene, teigige und schuppende Haut, brüchiges Haar, Verstopfung, Gewichtszunahme, Heiserkeit, langsamer Herzschlag, Gefäßverkalkungen, Zyklusstörungen und Unfruchtbarkeit bei Frauen können die Folge sein. Und bitte drängen Sie bei älteren Menschen in Ihrer Familie oder im Bekanntenkreis auf eine Schilddrüsendiagnostik, wenn es plötzlich heißt: vorgealtert – verkalkt – depressiv – immobil und apathisch. Nicht selten steckt eine noch nicht erkannte Unterfunktion der Schilddrüse dahinter. Die Schilddrüse kann auch einmal vergrößert sein, ohne dass es zu einer Veränderung der Schilddrüsenhormone kommt. Dann spricht man von „euthyreotem Kropf“ oder „Struma“. Das ist immer noch die häufigste Form und betrifft 90 Prozent der Schilddrüsenerkrankungen. Sie kann endemisch, also in Folge von Jodmangel in Jodmangelgebieten auftreten, aber auch durch einen genetischen Defekt. Auch sporadisches Auftreten ist möglich, in Zeiten, in denen der Schilddrüsenhormonbedarf höher ist, wie in der Pubertät oder der Schwangerschaft.

Welche weiteren Erkrankungen der Schilddrüse gibt es?

Dr. Schmidt-Sibeth: Neben der oben beschriebenen „euthyreoten Struma“ gibt es noch weitere Schilddrüsenerkrankungen. Das können Autoimmunerkrankungen sein. Die bekanntesten und auch die häufigsten sind die „Hashimoto-Immunthyreoiditis“ und der „Morbus Basedow“, auch „Immunhyperthyreose“ genannt. Knoten in der Schilddrüse können auch auftreten. Manche bilden dann ohne Kontrolle Schilddrüsenhormone („heißer Knoten“), manche sind ohne diese Besonderheit, aber nicht unbedingt besser, denn es gibt auch Krebserkrankungen in der Schilddrüse, die sich unter anderem als „kalter Knoten“ zeigen können. Der Vollständigkeit halber sei noch gesagt, dass auch Medikamente zu einer Schilddrüsenfunktionsstörung führen können, z. B. Lithium (bei bestimmten psychiatrischen Erkrankungen angewendet) oder auch Amiodaron (bei Herzrhythmusstörungen eingesetzt). Und es gibt Zysten und andere entzündliche Erkrankungen, auf die hier aber nicht näher eingegangen werden soll.

Wie wird eine Über- oder Unterfunktion behandelt?

Dr. Schmidt-Sibeth: Generell gilt: Gehen Sie zu einem Arzt oder einer Ärztin, wenn Sie sich über längere Zeit unwohl fühlen und vielleicht eine Verdickung oder einen Knoten am Hals spüren. Auch das Gefühl eines „Kloßes im Hals“ beim Schluckakt ist abklärungsbedürftig. Die Schilddrüse ist gut zugänglich und kann vom Arzt abgetastet, mit dem Ultraschall untersucht und in der Funktion mittels Blutabnahme geprüft werden. Stellt sich dann eine Schilddrüsenerkrankung heraus, kann je nach Diagnose mit Jod, mit Jod und Schilddrüsenhormonen oder nur mit Schilddrüsenhormonen behandelt werden. Das gilt für die Unterfunktionen. Bei den Überfunktionen gibt es auch entsprechende Medikamente oder auch Therapien mit radioaktivem Jod, die man zur Behandlung einsetzt.

Kann ich auch selbst etwas tun, um meine Schilddrüse zu stärken?

Dr. Schmidt-Sibeth: Zur Bildung der Hormone braucht die Schilddrüse Jod. Unser täglicher Jodumsatz liegt bei 150 bis 200 Mikrogramm. Jod wird dem Körper über die tägliche Nahrung zugeführt. Hier sind zum Beispiel Meeresfische optimale Jodversorger, besonders Schellfisch, Kabeljau, Garnelen oder Miesmuscheln. Obst und Gemüse enthalten leider wenig Jod. Ausnahmen sind Feldsalat, Champignons, Brokkoli, Spinat und Algen, was alle Sushi-Liebhaber freuen dürfte. Es gibt in Deutschland einen natürlichen Jodmangel, wegen der Jodarmut der Böden und des Trinkwassers. Durch Jodierung von Speisesalz in Haushalten, Großküchen und der Nahrungsmittelindustrie ist die Jodversorgung schon deutlich besser geworden. Als Folge der Kosteneffizienz wird jedoch auch in der Industrie zunehmend an Jodsalz gespart, denn Jodsalz ist etwas teurer als unjodiertes Salz. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie erinnert deshalb daran, bewusst auf eine ausreichende Zufuhr zu achten und jodiertes Speisesalz zu verwenden. Ansonsten könne es wieder vermehrt zu Schilddrüsenvergrößerungen (Struma), Schilddrüsenknoten und bei Schwangeren zu Auswirkungen auf die kindliche Gesundheit kommen. Denn wir sollten wissen: Jodmangel ist weltweit die häufigste vermeidbare Ursache für eine geistige Entwicklungsstörung von Kindern!

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