Eine junge Frau sitzt in der Terrassentür und schaut raus. Aktuelle Ausgabe

Alles zu viel? So klappt es mit weniger Stress und mehr Leichtigkeit

Du bist dauernd unter Strom und hast das Gefühl nie anzukommen? Damit bist du nicht allein: Viele funktionieren – bis sie nicht mehr können. Im Interview erklärt Psychologin Marie-Sophie Vetter, wie man Warnzeichen erkennt und was wir für mehr innere Balance tun können.

Marie-Sophie Vetter ist Psychologin (M. Sc. Klinische Psychologie und Psychotherapie) und arbeitet freiberuflich im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention mit den Schwerpunkten Stressbewältigung und mentale Gesundheit. Sie leitet Seminare, Workshops und Retreats zum gesunden Umgang mit aktuellen Belastungen und Herausforderungen. Da ihr eine ganzheitliche Perspektive und Arbeitsweise wichtig ist, hat sie unter anderem Weiterbildungen als Systemische Coachin und Businesscoachin sowie eine Ausbildung zur zertifizierten Yogalehrerin und zum Reiki Grad II absolviert. Ihr Ziel: Körper, Geist und Seele wieder in Einklang zu bringen.

Psychologin Marie-Sophie Vetter gibt Tipps zum Thema Grenzen setzen in Freundschaften.
© Psychologin Marie-Sophie Vetter
Marie-Sophie, wie definierst du aus psychologischer Sicht „Stress“ und woran erkenne ich, dass ich gestresst bin?

Marie-Sophie Vetter: Ganz kurz gesagt: Stress ist eine Reaktion deines Körpers und deines Geistes auf eine Situation, die du als belastend oder herausfordernd empfindest. Psychologisch gesehen bedeutet Stress: Dein System schaltet auf Alarm, weil es denkt, dass es gerade ganz viel leisten muss, um eine vermeintliche ‚Gefahr‘ abzuwenden – egal, ob diese Gefahr real ist oder nur in deinem Kopf stattfindet.

Woran du merkst, dass du gestresst bist? Zum Beispiel daran, dass dein Herz schneller schlägt, du flacher atmest, schlechter schläfst oder dauernd grübelst. Manche Menschen werden reizbar oder ziehen sich zurück, andere sind dauernd ‚auf 180‘. Auch körperliche Symptome wie Verspannungen, Kopfschmerzen oder Magenprobleme sind typische Stresssignale. Und: Manchmal fühlt es sich einfach nur an wie ein ‚Zuviel‘ – als ob alles gleichzeitig auf dich einprasselt.

Welche typischen Alltagsfaktoren lösen besonders häufig Stress aus?

Marie-Sophie Vetter: Gerade bei jungen Erwachsenen sind das oft Themen wie Leistungsdruck und ‚Wo will ich eigentlich beruflich hin?‘ – sei es im Studium, Job oder auch privat. Viele stehen ständig unter Strom, weil sie das Gefühl haben, perfekt funktionieren und für alles einen Plan haben zu müssen: Karriere, Freunde, Beziehung, Fitness, Social Media – alles soll super laufen.

Auch Geldsorgen, Zukunftsängste oder dieses permanente Vergleichen mit anderen (‚Die anderen kriegen das doch auch alles hin!‘) sind große Stressfaktoren. Dazu kommt manchmal das Gefühl, dauernd erreichbar sein zu müssen – Mails, WhatsApp, Insta … ständig piepst irgendwas. Diese permanente Reizüberflutung sorgt dafür, dass unser Nervensystem eigentlich gar nicht mehr richtig runterfährt.

Viele Menschen erkennen, dass sie irgendwie überfordert sind – aber wie erkenne ich den Punkt, an dem ich aktiv gegensteuern sollte?

Marie-Sophie Vetter: Das ist eine superwichtige Frage. Weil ein bisschen Stress sogar völlig normal und auch nützlich sein kann – er pusht uns, gibt uns Energie. Kritisch wird es aber, wenn du merkst, dass du dich dauerhaft erschöpft fühlst – z. B. auch dann, wenn du länger geschlafen hast. In diesem Fall kann Folgendes als Warnsignal interpretiert, werden:

  • Du hast kaum noch Freude an Dingen, die dir früher Spaß gemacht haben.
  • Du kannst dich schwer konzentrieren oder vergisst dauernd Sachen.
  • Du fühlst dich gereizt oder traurig, ohne genau zu wissen, warum.
  • Du schläfst schlecht oder grübelst die halbe Nacht.
  • Dein Körper entwickelt bestimmte Symptome, wie z. B. Magenprobleme, Kopfschmerzen oder starkes Herzrasen.

Spätestens, wenn du merkst, dass du dich nur noch ‚durch den Tag schleppst‘ oder sogar bestimmte Situationen gezielt vermeidest, solltest du bewusst gegensteuern. Dann ist es nicht mehr einfach nur ‚viel zu tun‘, sondern dein System schreit förmlich nach einer Pause.

Was macht (dauerhafter) Stress (langfristig) mit dem Körper?

Marie-Sophie Vetter: Erst einmal: Kurzfristiger Stress ist gar nicht so schlimm – dieser gehört zum Leben dazu und kann durchaus positiv sein. Aber wenn der Stress dauerhaft bleibt, kann das ziemlich heftige Folgen haben. Dein Körper ist dann in einer Art Daueralarmzustand. Dein Stresshormon Cortisol bleibt ständig erhöht, was wiederum auf Dauer dein Immunsystem schwächen, zu Bluthochdruck führen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen und sogar dein Risiko für Depressionen oder Angststörungen erhöhen kann.

Außerdem kann chronischer Stress Entzündungen im Körper fördern und beeinflusst auch deine Verdauung negativ. Viele entwickeln dann zum Beispiel Reizdarmbeschwerden oder chronische Verspannungen. Und nicht zu vergessen: Auch dein Schlaf leidet oft massiv, was wiederum alle anderen Symptome noch verstärkt.

Was sind einfache, aber wirksame Strategien, um akuten Stress im Alltag zu bewältigen?

Marie-Sophie Vetter: Hier ein paar meiner Favoriten – auch aus meiner Yoga-Erfahrung:

  • Atmen: Klingt simpel, wirkt aber Wunder. Setze dich hin, atme tief ein und noch länger aus. Das aktiviert deinen Parasympathikus, also deinen „Entspannungsnerv“.
  • Mini-Pausen: Stehe kurz auf, strecke dich, gehe ans Fenster, schaue raus. Denn schon zwei Minuten Abstand können deinem Nervensystem helfen, dich neu auszurichten.
  • Bodyscan: Schließe die Augen und gehe einmal gedanklich deinen Körper von Kopf bis Fuß durch. Spüre, wo du Anspannung loslassen kannst.
  • Bewegung:  Auch ein kurzer Spaziergang kann helfen, Stresshormone abzubauen.
  • Gedankenstopp: Wenn dein Kopf Karussell fährt: Sage innerlich bewusst ‚Stopp!‘ und lenke deine Aufmerksamkeit bewusst für einen Moment auf etwas Anderes im Außen (z. B. eine Tasse Tee bewusst trinken).
  • Entspannungsrituale: Yoga, progressive Muskelentspannung oder Meditation sind außerdem tolle Methoden, um Stress vorzubeugen oder akut runterzufahren.

Das Wichtigste: Warte nicht erst, bis du komplett ausgebrannt bist, sondern baue kleine Entspannungsinseln in deinen Alltag ein.

Wie wichtig ist es über Stressfaktoren und Belastungen zu sprechen – sei es mit Freunden, Familie oder Fachleuten? Und was rätst du, wenn es einem schwerfällt?

Marie-Sophie Vetter: Es ist enorm wichtig! Denn oft wird Stress schlimmer, wenn du alles mit dir allein ausmachst. Wenn du darüber sprichst, passiert nämlich zweierlei: Erstens merkst du oft schon beim Erzählen, dass es gar nicht so unlösbar ist, wie es sich vorher angefühlt hat. Zweitens bekommst du Unterstützung oder zumindest Verständnis – und allein das entlastet schon.

Wenn es dir schwerfällt, über deine Belastung zu reden, könntest du dir überlegen: Mit wem fühle ich mich wirklich sicher? Vielleicht gibt es eine Person, der du erstmal nur ein kleines bisschen erzählst. Oder du schreibst auf, was dich beschäftigt – das kann eine gute Vorbereitung sein, um es später auszusprechen.

Und denk dran: Auch professionelle Hilfe (Psychologinnen oder Psychologen, Therapeutinnen oder Therapeuten) ist nichts, wofür man sich schämen müsste. Im Gegenteil – es ist ein Zeichen von Stärke, sich Unterstützung zu holen.

Wie kann ich vorbeugend etwas dafür tun, dass Stress mich gar nicht erst aus der Bahn wirft?

Marie-Sophie Vetter: Vorbeugen ist tatsächlich der allerbeste Weg, um erst gar nicht in die Stressspirale zu gelangen. Diese Tipps können dir dabei helfen:

  • Selbstfürsorge einplanen: Trage dir Pausen und schöne Dinge genauso fest in deinen Kalender ein wie Termine oder Deadlines.
  • Grenzen setzen: Lerne ‚Nein‘ zu sagen, wenn dir etwas zu viel wird.
  • Realistische Ansprüche: Du musst nicht perfekt sein. Niemand ist das.
  • Regelmäßige Bewegung: Sport oder Yoga helfen, Stresshormone abzubauen und dein Nervensystem widerstandsfähiger zu machen.
  • Bewusste Offline-Zeiten: Gönne dir täglich Phasen ohne Handy, Mails oder Social Media.
  • Achtsamkeit üben: Je bewusster du deinen Alltag erlebst, desto schneller merkst du, wann dein Stresslevel steigt – und kannst gegensteuern.

Vor allem aber gilt: Warte nicht, bis es richtig schlimm wird. Kleine tägliche Übungen sind wie ein Schutzschild für dein seelisches Gleichgewicht.

Zusatz-Tipp von mir als Psychologin und Yogalehrerin

Viele Menschen glauben, sie müssten große Veränderungen vornehmen, um stressfreier zu leben. Das stimmt gar nicht unbedingt. Oft reichen schon kleine Schritte wie fünf Minuten Atemübungen, ein kurzer Spaziergang oder ein ehrliches Gespräch mit einer Person deines Vertrauens aus, um dein System wieder ‚neu und stressfreier auszurichten‘. Dein Körper und dein Geist werden es dir nämlich schon für diese Kleinigkeiten danken.

Und ganz wichtig: Sei bitte liebevoll mit dir selbst. Stress gehört zu unserem Leben dazu, aber du kannst lernen, ihn besser zu steuern, anstatt dich von ihm steuern zu lassen.

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