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Gesundheit 02/2023
Eine ältere Frau sitzt auf ihrem Bett und fasst sich an ihr schmerzendes Knie.

Multiple Sklerose – die Krankheit der tausend Gesichter

Sehstörungen, Kribbeln in Händen und Füßen, Depressionen – die Symptome bei Multipler Sklerose (MS) sind so vielfältig, dass Betroffene oft einen jahrelangen Ärztemarathon hinter sich haben, bevor die Krankheit diagnostiziert wird. Doch was genau ist MS überhaupt? Im Experteninterview klären wir die wichtigsten Fragen.

Nach Expertenschätzungen leben in Deutschland rund 250.000 Menschen mit der Diagnose Multiple Sklerose. Die chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems verläuft von Patient zu Patient unterschiedlich – was die unheilbare Krankheit sehr schwer zu diagnostizieren macht. Welche Risikofaktoren es gibt, was für Symptome auftreten können und wie die Behandlung aussieht, beantwortet Dr. Nikolaus Schmidt-Sibeth, medizinischer Leiter bei unserem Kooperationspartner TeleClinic, im Interview.

Doktor Nikolaus Schmidt Sibeth
Dr. Nikolaus Schmidt-Sibeth, medizinischer Leiter bei TeleClinic
© TeleClinic

Herr Dr. Schmidt-Sibeth, was ist Multiple Sklerose eigentlich genau?

Dr. Schmidt-Sibeth: Die Multiple Sklerose wird auch Encephalomyelitis disseminata (ED) genannt. Letzteres beschreibt die Erkrankung, die eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS) ist. Die Entzündung des Gehirns und Rückenmarks ist autoimmun vermittelt, die genaue Ursache der Erkrankung ist noch immer unbekannt. Die MS verläuft schubförmig oder chronisch progredient, also fortschreitend. Kennzeichnend sind die im Gewebe verteilten, herdförmigen Veränderungen des ZNS. Je nach Ort und Lage der Schädigungen sind vielfältige neurologische Symptome möglich.

Man kann also keine Ursachen/Auslöser für die Autoimmunerkrankung benennen?

Dr. Schmidt-Sibeth: Die Ursache der MS ist noch nicht geklärt. Es gibt verschiedene Hypothesen, was der Auslöser für die Erkrankung sein kann. Man weiß, dass sie vor allem in nördlichen Breiten bei Menschen mit europäischer Abstammung auftritt. Die bei MS nachgewiesene Autoreaktivität wird auf Kontakt mit einem exogenen Antigen, also einem pathogenen Umweltfaktor (z. B. Viren) zurückgeführt. Familiäre Häufung und ein erhöhtes Erkrankungsrisiko für Familienmitglieder von Betroffenen werden ebenfalls beobachtet. So haben Kinder von Erkrankten 2 %, Geschwister eines Betroffenen 5 % Erkrankungsrisiko.
Rauchen, Übergewicht und geringe Sonnenexposition sind Risikofaktoren für MS, Alkohol hingegen hat möglicherweise für die MS einen risikoreduzierenden Effekt (Quelle: Ärzteblatt).

Man nennt MS auch die Krankheit der tausend Gesichter – sind die Symptome so vielfältig?

Dr. Schmidt-Sibeth: Eine MS verläuft individuell sehr variabel. Man kann davon ausgehen, dass es nicht zwei MS-Patienten auf der Welt mit identischen Symptomen und identischem Verlauf gibt. Die Symptomatik am Anfang verläuft meist schubförmig und mit einem dominanten Symptom. Häufige Erstsymptome sind eine Entzündung des Sehnervs (Optikusneuritis), Sensibilitätsstörungen oder auch chronische Erschöpfbarkeit (Fatigue).

Macht das die Diagnose nicht besonders schwierig?

Dr. Schmidt-Sibeth: Ja, die genaue Diagnose einer MS ist schwierig und auch nur Spezialisten vorbehalten. Der richtige Facharzt ist der Neurologe oder die Neurologin. Die diagnostischen Prinzipien laufen in der Regel nach folgendem Schema ab: Es wird die klinische Verdachtsdiagnose einer chronisch-entzündlichen ZNS-Erkrankung gestellt. Meist ist das der Fall, wenn ein Arzt oder eine Ärztin aus der Anamnese einen Hinweis darauf findet und/oder ein passender neurologischer Untersuchungsbefund vorliegt. Dann erfolgt im nächsten Schritt der Nachweis von entzündlichen ZNS-Läsionen mittels genauer Anamnese, Magnetresonanztomografie (MRT) und Diagnostik des Liquors, der Flüssigkeit, die unser ZNS umgibt. Können andere Erkrankungen differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden, kann bei entsprechender Befundkonstellation die Diagnose MS gestellt werden. 

Wichtig zu wissen: Die MS ist eine Ausschlussdiagnose. Sie darf nur gestellt werden, wenn keine andere Ursache die Befunde besser erklären kann (Quelle S1-Leitlinien). 

Wie wird MS behandelt und kann man auch selbst etwas tun?

Dr. Schmidt-Sibeth: Die Erkrankung MS ist chronisch und kann nach heutigem Wissensstand nicht geheilt werden. Die Behandlung der MS umfasst die Schubtherapie, mit dem Ziel einer schnellen Symptomrückbildung sowie einer verlaufsmodifizierenden Therapie, mit dem Ziel einer Reduktion der Schubfrequenz und der Krankheitsaktivität und dem Fortschreiten der Erkrankung. Hinzu kommt eine symptomatische Therapie, zu der z. B. Physio-, Ergo- und Logopädie sowie Hilfsmittelversorgung und auch Medikamente zur Behandlung einer Spastik der Muskulatur gehören.

Waren früher die Therapiemöglichkeiten im Wesentlichen auf schnell und stark antientzündlich wirkendes Kortison reduziert, gibt es heute eine Vielzahl von sehr modernen Therapien, wie z. B. Antikörper, die an das jeweilige Krankheitsgeschehen angepasst, eingesetzt werden.
Die Therapie ist komplex, erfordert viel Erfahrung und ist daher spezialisierten Ärztinnen und Ärzten meist in eigens dafür eingerichteten Zentren vorbehalten.

Eine gesunde Lebensführung mit ausreichend Bewegung sowie guter und ausgewogener Ernährung ist die Grundlage für ein gutes Körpergefühl und ein intaktes Immunsystem. Dies gilt in gewisser Weise zur Prävention von Erkrankungen wie natürlich auch dann, wenn eine Erkrankung bereits aufgetreten ist. Da die genauen Ursachen der MS aber noch nicht geklärt sind, ist es schwierig, den einen sicheren Tipp zur Prävention zu geben. Aber wenn Sie sich Ihr Leben so einrichten, dass Geist und Körper so zusammenspielen, dass Sie sich wohlfühlen und Sie eine bestmögliche Lebensqualität verspüren, ist das für jedwede Lebenssituation die richtige und heilbringende Grundlage.  

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Gut zu wissen!

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