Gesundheitsförderung durch Achtsamkeit und Mitgefühl
Achtsamkeit und Mitgefühl sind zwei kontemplative (lat. contemplatio: geistige Betrachtung) Praktiken, die aktuell immer häufiger im Rahmen von Präventionskursen bzw. von therapeutischen Interventionen angeboten werden. Verwurzelt in asiatischen Traditionen finden sie als säkulare (weltliche) Programme Eingang in vielerlei Bereichen der Gesundheitsförderung. Wir erklären, warum das Kultivieren von Achtsamkeit und Mitgefühl mit Blick auf die individuelle Gesundheit und auf die Gestaltung sozialer Beziehungen lohnenswert ist.
Achtsamkeit und Mitgefühl – was versteckt sich hinter den Begriffen?
Achtsamkeit wird in der psychologischen Forschung verstanden als eine absichtsvoll auf den aktuellen Moment gerichtete Aufmerksamkeit verbunden mit einer akzeptierenden Haltung (Kabat-Zinn, 1990; Shapiro et al., 2006). Das bedeutet, dass durch das Praktizieren von Achtsamkeit zunehmend ein Lebensstil gepflegt wird, in dem man mehr ist, als dass man etwas tut. Das führt auch dazu, dass Handlungen im Alltag mit größerer Bewusstheit und Intention umgesetzt und ausgerichtet werden können und dabei beispielweise auch die körperliche Wahrnehmung eine wichtige Rolle spielt (Kabat-Zinn, 2021).
Unter Mitgefühl verstehen wir eine Sensitivität gegenüber leidvollen Erfahrungen in uns und den Menschen um uns herum, verbunden mit der Absicht und – wenn möglich – dem prosozialen Verhalten, diese zu lindern (Strauss et al., 2006). Mitgefühl bedeutet also mitfühlen, aber nicht mitleiden. Wenn wir mit jemandem mitfühlen, so versinken wir nicht in den Emotionen des anderen, sondern bleiben in der Lage, ihm mit empathischer Fürsorge zu begegnen. Mitgefühl ist daher auch mehr als Empathie – es ist vielmehr eine spezifische Antwort auf leidvolle Erfahrungen in uns und anderen und geht über die Achtsamkeit hinaus, indem es insbesondere unsere Haltung zu anderen und unsere Beziehungsgestaltung formen kann.
Wie kultiviert man Achtsamkeit und Mitgefühl?
Beides, Achtsamkeit und Mitgefühl, sind Eigenschaften und Qualitäten, die kultiviert werden können. Eine Art der Praxis sind konkrete formale Übungen, wie z.B. Meditation mit Fokus auf den Atem oder auf alle wahrnehmbaren Erfahrungen. Darüber hinaus können wir auch informell praktizieren, indem wir unsere Aufmerksamkeit im Alltag auf die jeweils aktuelle Aktivität, z.B. das Radfahren, lenken. In den letzten Jahren sind immer mehr wissenschaftlich evaluierte Trainings entworfen worden, die positive Effekte nach sich ziehen und ein Kick-Starter sein können für einen lebenslangen bewussteren Weg durch den Alltag und in unseren Beziehungen. Eines der Trainings ist das berühmte Mindfulness-Based Stress Reduction Training (MBSR®; Kabat-Zinn, 1990, 2003), das präventiv darauf abzielt, den Umgang mit Stressoren zu bewältigen und die Gesundheit zu fördern. Ebenso gibt es eine Reihe von Trainings für Mitgefühl wie z.B. das Cognitively-Based Compassion Training (CBCT®; Ozawa-de Silva & Negi, 2013). In der jüngeren Vergangenheit wurden sowohl Achtsamkeits- als auch Mitgefühlstrainings erweitert, um z.B. spezifisch die Paarbeziehung zu fokussieren (Cognitively-Based Compassion Training for Couples; Aguilar-Raab et al., 2018) oder Mitgefühl in den Bildungsbereich zu integrieren (Social Emotional and Ethical Learning; CCSCBE, 2019).
Was für Effekte haben Achtsamkeits- und Mitgefühlstrainings?
Für Achtsamkeit zeigen sich in wissenschaftlichen Studien im Vergleich zu Kontrollgruppen und im Vorher-nachher-Vergleich überzeugende Effekte in Bezug auf Lebenssinn (Chu & Mak, 2020) sowie Stress und Burnout (Khoury et al., 2015). Auch in der klinischen Anwendung zeigt sich, dass störungsspezifische Anzeichen wie z.B. depressive Symptome sich reduzieren können (Goldberg et al., 2021) und auch als Rückfallprophylaxe geeignet sind (Kuyken et al., 2016). In Trainings für Paare zeigten sich u.a. positive Effekte auf die Beziehungszufriedenheit (Winter et al., 2021).
Auch für Mitgefühl zeigen sich beispielsweise eine Reduktion von Einsamkeitsgefühlen, eine verbesserte Schlafqualität und ein Rückgang depressiver Symptome (Mascaro et al., 2018). Außerdem können positive Gefühle, innere Ruhe und Emotionsregulationsstrategien im Alltag gestärkt werden (Jazaieri et al., 2018). Gerade für Personen in helfenden Berufen können kontemplative Praktiken wie Achtsamkeit und Mitgefühl zur Vorbeugung von Burnout dienen (Mascaro et al., 2018; Grepmair et al., 2007).
Online-Umfrage
Das Institut für Medizinische Psychologie der Universität Heidelberg führt gerade eine anonymisierte Online-Umfrage unter Psychotherapeuten (ärztlich/psychologisch, in Ausbildung/mit bzw. ohne Approbation, niedergelassen/in Privatpraxis/in Klinik tätig) durch, in der u.a. folgende Fragen gestellt werden:
- Wenden Sie Achtsamkeit, Mitgefühl oder andere kontemplative Interventionen im therapeutischen Setting an? Wenn nein – warum nicht?
- Nutzen Sie diese oder ähnliche Techniken zur Selbstfürsorge/Psychohygiene? Wenn nein – warum nicht?
Hier gelangen Sie zur max. 30-minütigen, vollständig anonymisierten Online-Umfrage.
Am Ende der Umfrage haben wir weiterführende Literatur zum Thema als Empfehlung aufgelistet.
Wir freuen uns über Ihre Teilnahme und/oder die Weiterleitung des Links!
Der Artikel wurde uns von Dr. Corina Aguilar-Raab und Friederike Winter (M.Sc.) vom Institut für Medizinische Psychologie der Universität Heidelberg zur Verfügung gestellt.