Die Angst vor dem Einschlafen
Tick, tack, tick, tack … „Schon 3.45 Uhr … Wenn ich jetzt sofort einschlafe, kann ich noch zweieinhalb Stunden schlafen, aber wenn ich nicht einschlafe oder erst in einer Stunde …“ Solche Momente kennt sicherlich jeder von uns. Aber wann ist das normal und ab wie vielen schlaflosen Nächten spricht man von einer Schlafstörung?
Tipps und Ratschläge, zum besseren und schnelleren einschlafen, gibt es viele: Von Entspannungsübungen über den Hinweis, abends kein Handy, Tablet und Co. mehr zu nutzen, bis hin zu der Idee, unbedingt wach bleiben zu wollen – dann würde man besonders schnell einschlafen. Aber welche davon wirken und welche sind nur moderne Märchen?
Kann man schlafen lernen?
Die Schlafforscherin Dr. Tatjana Crönlein schreibt in ihrem verhaltenstherapeutischen Ratgeber „Schlafen können. Schlafstörungen erfolgreich bewältigen“, wie die Selbsthilfe raus aus dem Teufelskreis gelingen kann. Sie erklärt, was es mit dem notwendigen „Schlafdruck“ auf sich hat, wie man ihn erzeugt, und beschreibt mit Hilfe von anschaulichen Beispielen, welches Verhalten schlaffördernd wirkt und welche Gewohnheiten problematisch werden können. Neben Selbsttests finden Betroffene im Buch auch eine leicht verständliche Dokumentationsvorlage für das eigene Schlaf-wach-Verhalten.
Wir freuen uns, dass sich die vielbeschäftigte Insomnietherapeutin die Zeit genommen hat, uns zehn spannende Fragen zu einem Thema zu beantworten, das fast jeden von uns schon einmal beschäftigt hat.
Kurz und knapp – zehn Fragen zum Thema „Schlafstörungen“ an Schlafexpertin Dr. Tatjana Crönlein
Mobil-e: Frau Dr. Crönlein, jeder Mensch schläft phasenweise mal besser oder schlechter, aber ab wann spricht man eigentlich von einer echten Schlafstörung?
Dr. Tatjana Crönlein: Anstatt von einer „echten Schlafstörung“ würde ich lieber von einer „Insomnie“ sprechen. Eine Insomnie ist ein Krankheitsbild, welches sich durch Ein- und/oder Durchschlafstörungen auszeichnet, die mindestens einen Monat lang auftreten und einen erheblichen Leidensdruck hervorrufen. Typischerweise bestimmt das Thema gestörter Schlaf bei Insomniepatienten den Alltag und kann zu erheblichen Einschränkungen desselben führen. Eine Ursache ist für den Betroffenen nicht erkennbar. Neben der Insomnie gibt es noch diverse andere Schlafkrankheiten, die zu den unterschiedlichsten Symptomen (zum Beispiel ungewolltes Einschlafen am Tage u. a.) führen können.
Mobil-e: In Ihrer täglichen Arbeit beschäftigen Sie sich eingehend mit Menschen, die unter Insomnie leiden. Was ist der häufigste Fehler, den die meisten in Bezug auf das „Nicht-schlafen-Können“ machen?
Dr. Tatjana Crönlein: Menschen, die von einer Insomnie betroffen sind, versuchen alles, um diese wieder loszuwerden. Dabei passieren leider oft viele Fehler. Diese sind u. a. den oft verwirrenden und widersprüchlichen Informationen und therapeutischen Angeboten geschuldet. Falsch verstandene Schlafhygiene kann zum Beispiel den Schlaf unter Umständen noch weiter verschlechtern. Ich beobachte häufig, dass Patienten, die zu uns kommen, „alles durch haben“ und „nichts geholfen“ hat. Ein häufiger Fehler scheint demnach zu sein, verschiedene Therapien und Behandlungsoptionen unsystematisch auszuprobieren und dann frustriert zu resignieren. Dabei gibt es gerade für die Insomnie eine sehr gute, wissenschaftlich fundierte Therapie.
Mobil-e: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Angst vor dem „Nicht-schlafen-Können“ zum großen Problem werden kann – wie begegne ich dieser Angst?
Dr. Tatjana Crönlein: So wie man jeder Angst begegnet: mit Vertrauen, dass es doch gut werden kann. Die Angst bei der Insomnie wird vor allem durch die Hoffnungslosigkeit gefüttert. Wenn ich nicht glaube, dass die Schlafstörung wieder verschwinden kann (nach so langer Zeit), wird die Anspannung immer größer, vor allem im Vorfeld der Bettzeit. Mit Vertrauen und den richtigen Methoden kann jeder wieder schlafen lernen. Gerade für die Insomnie gibt es wissenschaftlich gut evaluierte Behandlungsmethoden, auf diese bezieht sich auch das Buch.
Mobil-e: Was ist wichtiger für einen guten Schlaf: eine Einschlafroutine, wie z. B. immer zur selben Uhrzeit ins Bett zu gehen, oder ein Einschlafritual, z. B. ein Hörbuch?
Crönlein: Weder das eine noch das andere. Die Insomnietherapie geht über Schlaftipps hinaus. Immer zur selben Zeit ins Bett zu gehen ist mit Sicherheit kein therapeutischer Ratschlag, da nicht jeder Tag gleich ist und unsere Müdigkeit von Abend zu Abend schwanken kann. Einschlafrituale machen bei kindlichen Schlafstörungen Sinn, nicht aber bei Erwachsenen
Mobil-e: Gibt es Berufsgruppen, die häufiger unter Schlafmangel leiden als andere, und wenn ja, warum?
Dr. Tatjana Crönlein: Das ist eine interessante Frage, zu der mir leider keine Studien bekannt sind. Ich beobachte allerdings, dass wir eine Häufung im pädagogischen und im kaufmännischen Bereich haben. Generell sind Personen betroffen, die ein erhöhtes Verantwortungsprofil haben und sich dem schlecht entziehen können. Insomniepatienten haben oft einen Hang zum Perfektionismus, der leider ein guter Nährboden für die Entwicklung von Schlafstörungen ist.
Mobil-e: Welche Folgen kann Schlafmangel langfristig haben? Sind neben der psychischen Belastung auch körperliche Schäden nachweisbar?
Dr. Tatjana Crönlein: Einerseits werden die Folgen einer Schlafstörung überschätzt: Es ist nicht so, dass Personen, die schlecht schlafen, zwangsläufig schwere körperliche Schäden zu erwarten haben. Im Gegenteil, es gibt Menschen, die mit ihrer Insomnie ein hohes (wenn auch wenig erholsames) Alter erreichen können. Andererseits sollte eine Schlafstörung, die länger anhält, auch medizinisch ernst genommen werden. Ansonsten könnten körperliche Ursachen übersehen werden, die ihrerseits zu schweren Folgeschäden wie Herzinfarkt führen können. Ebenso kann jede Insomnie zu erheblichen psychischen und auch sozialen Folgen führen. Ich habe immer wieder Insomniepatienten, die aufgrund der Schlafstörung nicht oder nur noch eingeschränkt arbeitsfähig sind.
Mobil-e: Kann man eigentlich auch zu viel schlafen?
Dr. Tatjana Crönlein: Es gibt tatsächlich Störungsbilder, bei denen der Betroffene zu viel schläft und ständig müde ist. Diese werden Hypersomnien genannt und bezeichnen ein chronisch erhöhtes Schlafbedürfnis. Die Störungen sind manchmal auf körperliche Ursachen, wie zum Beispiel eine unbehandelte schlafbezogene Atmungsstörung, zurückzuführen. Sie können aber auch ohne erkennbare Ursache auftreten, hier sind vor allem jüngere Personen betroffen. Diese Art der Schlafstörungen sollte in einem Schlaflabor untersucht werden.
Mobil-e: Therapiedecken, Decken mit kleinen Gewichten darin, die es in verschiedenen Gewichtsklassen von 3 bis 12 kg gibt, gelten als der neuste Trend gegen Ein- und Durchschlafprobleme. Bringen diese Decken tatsächlich etwas und sind sie für jeden geeignet?
Dr. Tatjana Crönlein: Inwieweit diese neue Form der Behandlung bei Schlafgestörten effektiv ist, müssen größer angelegte Studien erst noch zeigen. Generell kann man jedoch sagen, dass das Krankheitsbild der Insomnie zu komplex ist, als dass diese relativ einfachen Methoden helfen könnten.
Mobil-e: Man liest so viel – im Internet, in Zeitschriften. Dazu kommen die Meinungen von Freunden und Verwandten: Was ist die perfekte Anzahl an Schlafstunden pro Nacht? Oder ist das individuell?
Dr. Tatjana Crönlein: Das ist sehr individuell. Jeder hat in seinem Bekanntenkreis einen Lang- oder auch einen Kurzschläfer. Im Mittel wird in Europa 7,5 Stunden geschlafen, wobei es sich hier um Daten aus großen Umfragen handelt. Es gibt Personen, die mit fünf oder sechs Stunden Schlaf gut auskommen, und andere, die bei weniger als neun Stunden Schlaf nicht leistungsfähig sind. Die Schlafdauer ist außerdem vom Alter, hormonellen Einflüssen und natürlich den äußeren Umständen abhängig. Grundsätzlich gilt, dass weniger die Dauer des Schlafs, sondern eher die Schlafkontinuität für die Erholsamkeit wichtig ist.
Mobil-e: Wann ist der Zeitpunkt, an dem ich mit meinen Schlafstörungen zum Arzt sollte?
Dr. Tatjana Crönlein: Die Frage ist relativ einfach zu beantworten und gilt eigentlich für jede gesundheitliche Beeinträchtigung: Wir sollten dann einen Arzt aufsuchen, wenn wir uns selbst nicht mehr zu helfen wissen und die Beschwerde erhebliche Sorge auslöst. Grundsätzlich sollten wir gestörten Schlaf ernst nehmen und nicht als Befindlichkeitsstörung abtun, vor allem weil es inzwischen gute Behandlungsmethoden für die Insomnie gibt.
Gewinnspiel
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