Histaminunverträglichkeit erkennen und behandeln
Nach dem Verzehr einer frischen Tomatensuppe rötet sich die Haut und Kopfschmerzen setzen ein? Schwer zu glauben, aber dabei kann es sich um eine Histaminintoleranz handeln. Sie entwickelt sich schleichend und ist durch die vielfältigen Symptome schwer zu diagnostizieren. Grund genug, den Botenstoff Histamin einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Die Symptome einer Histaminintoleranz ähneln oft denen einer Allergie, sodass viele Menschen gar nicht wissen, woran sie eigentlich leiden. Wie genau sich die Unverträglichkeit äußert, welche Ursachen sie hat und was Betroffenen wirklich helfen kann, berichtet uns Dr. Nikolaus Schmidt-Sibeth, medizinischer Leiter bei unserem Kooperationspartner TeleClinic, im Interview.
Herr Dr. Schmidth-Sibeth, was ist Histamin überhaupt?
Dr. Schmidt-Sibeth: Histamin wurde erstmals 1910 pharmakologisch als endogene Substanz beschrieben und 1932 als Botenstoff von allergischen Reaktionen identifiziert. Das biogene Amin Histamin wird aus der Aminosäure Histidin durch das Enzym L-Histidin-Decarboxylase (HDC) gebildet. Es wird von einigen Zellen (Mastzellen, Basophilen, Thrombozyten und einigen Neuronen) im menschlichen Körper gebildet. Innerhalb dieser Zellen wird es in sehr kleinen Bläschen (Vesikeln) gelagert und bei bestimmten Reizen freigesetzt. Histamin ist ein potenter Botenstoff bei vielen Reaktionen des Körpers. Neben der Ausschüttung aus den Mastzellen bei allergischen Reaktionen, wie z. B. den Nahrungsmittelallergien, die durch Kreuzvernetzung von IgE-Antikörpern auf der Zelloberfläche nach Bindung des Allergens hervorgerufen werden, kann die Histaminfreisetzung auch IgE-unabhängig erfolgen. Hier spricht man dann von einer pseudoallergischen Reaktion (PAR).
Und wie äußert sich eine Histaminunverträglichkeit?
Dr. Schmidt-Sibeth: Wird die bei jedem Menschen individuelle Histamin-Toleranzschwelle überschritten, klagen die Betroffenen häufig über Kopfschmerzen, Fließschnupfen, eine „verstopfte“ Nase, Flushes (also schnell auftretende Rötungen der Haut), Durchfälle, Periodenschmerzen bei Frauen, schnellen und/oder unregelmäßigen Herzschlag, Blutdruckabfall durch Gefäßerweiterung, Juckreiz der Haut mit und ohne Nesselsucht bis hin zu Asthmaanfällen. Die Symptomausbildung ist von der Histaminkonzentration im Körper abhängig. Diese Beschwerden treten vornehmlich nach dem Verzehr bestimmter Nahrungsmittel auf.
Da die Symptome zunächst an allergische Reaktionen erinnern, werden meist die entsprechenden allergologischen diagnostischen Tests durchgeführt. Häufig sind die Testergebnisse hier negativ, sodass keine Immunglobulin-E(IgE)-vermittelte allergische Reaktion als Ursache der Beschwerden nachgewiesen werden kann. Eine Ursache der PAR (s. o.) kann eine reduzierte Aktivität des Enzyms Diaminooxidase (DAO) sein, das dafür verantwortlich ist, das Histamin im Körper abzubauen. Bei einer reduzierten DAO-Aktivität führt bereits die Aufnahme von geringen Mengen Histamin zu Beschwerden. Durch die Verteilung der Histaminrezeptoren an multiplen Organen können sich dort dann die oben genannten unterschiedlichen Symptome zeigen.
Welche Ursachen kann sie haben?
Dr. Schmidt-Sibeth: Bei der PAR wird die Freisetzung von Histamin unabhängig vom IgE über sehr komplexe Zell-Rezeptor- und Botenstoff-Mechanismen reguliert. „Nichtallergische“ Stoffe, die Histamin freisetzen können, sind z. B. verschiedene Medikamente, Nahrungsmittel, chemische und physikalische Reize, Sauerstoffmangel, Neuropeptide oder Enzyme. Die Histaminintoleranz basiert auf einem Ungleichgewicht zwischen anfallendem Histamin und der Möglichkeit, dieses abzubauen. Histamin kann über zwei Wege verstoffwechselt werden, wobei die „oxidative Desaminierung“ durch die DAO beim Abbau des über die Nahrung aufgenommenen Histamins die zentrale Rolle spielt.
Durch eine unzureichende Aktivität der DAO können infolgedessen nach Aufnahme von histaminreichen Nahrungsmitteln, Alkohol oder Medikamenten, die die DAO blockieren oder vermehrt Histamin freisetzen, die genannten Symptome auftreten. Eine erworbene Histaminintoleranz kann nach dem Wegfall der Ursachen wie Absetzen DAO-blockierender Medikamente reversibel sein. Auch die Schädigung bestimmter Zellen im Magen-Darm-Trakt bei einigen Erkrankungen sowie gewisse genetische Faktoren werden als eine weitere Ursache diskutiert.
Heißt das, die Intoleranz entsteht erst im Laufe der Jahre? Oder kann man sie bereits von Geburt an haben?
Dr. Schmidt-Sibeth: Die Histaminintoleranz ist keine angeborene, sondern eine erworbene Krankheit. Sie entwickelt sich mit zunehmendem Alter schleichend. Von dem etwa einen Prozent der Gesamtbevölkerung, das an einer Histaminintoleranz leidet, sind in 80 Prozent der Fälle Frauen mittleren Alters betroffen.
Und wie wird die Unverträglichkeit diagnostiziert und therapiert?
Dr. Schmidt-Sibeth: Die sicherste Methode, eine Histaminintoleranz festzustellen, ist die Eliminationsdiät. Dabei werden über vier Wochen alle histaminreichen und histaminfreisetzenden Lebensmittel gemieden. Wenn sich die Symptome bessern, liegt mit großer Wahrscheinlichkeit eine Histaminintoleranz vor. Durch einen Provokationstest kann die Diagnose überprüft werden, indem absichtlich stark histaminhaltige Lebensmittel verzehrt werden. Die Therapie der Histaminintoleranz beruht auf einer Umstellung der Ernährung. Eine histaminarme Diät lässt Beschwerden verschwinden bzw. verbessert diese deutlich und normalisiert die Gesamtsituation des Betroffenen. Meist tritt innerhalb von zwei Wochen schon eine Besserung ein. Neben histaminreichen Nahrungsmitteln sollte der Patient auch histaminfreisetzende Lebensmittel und Medikamente (z. B. bestimmte Schmerzmittel, Mittel gegen Übelkeit, bestimmte Antibiotika oder auch Blutdrucksenker) meiden (natürlich nur in Absprache mit den behandelnden Ärztinnen oder Ärzten). Alternativ und zusätzlich zur Diät kann der Arzt auch Antihistaminika verordnen. Seit einiger Zeit gibt es DAO auch in Tabletten- und in Kapselform als diätetisches Lebensmittel auf dem Markt, die bei DAO-Mangel eingenommen werden können.
Weitere Tipps und ausführliche Erläuterungen zur Ernährung bei Histaminintoleranz finden Sie z. B. in diesem Informationsblatt des Instituts für Ernährungsmedizin der TU München.
Eine abschließe Frage: Was raten Sie Menschen mit einer Histaminunverträglichkeit?
Dr. Schmidt-Sibeth: Da sich die Histaminunverträglichkeit langsam entwickelt, ist es herausfordernd, sie zu erkennen. Die oben genannten Symptome sind nicht sonderlich spezifisch und können so auch nicht immer eindeutig einem Krankheitsbild zugeordnet werden. Beobachten Sie sich sehr genau. Oft hilft es, wenn Sie sich bei Verdacht auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten Notizen machen. Wann haben Sie was zu sich genommen? Welche Reaktionen zeigt Ihr Körper und wie ausgeprägt waren sie? Irgendwann werden Sie einen Zusammenhang zwischen bestimmten Nahrungsmitteln oder auch Medikamenteneinnahmen herstellen können. Und dann beginnen Sie mit dem Ausschlussverfahren oder auch einer gezielten Belastung mit dem „Verdächtigen“.
Die Basis der Therapie besteht dann in der Karenz des „entdeckten Übeltäters“ und auch ganz allgemein in der Reduzierung von exogen zugeführtem Histamin durch die konsequente Einhaltung einer histaminarmen Diät. Alkohol und lang gereifte oder gegärte und daher histaminreiche Nahrungsmittel wie alter Käse, Gepökeltes, Hefebackwaren sowie Spinat und Tomaten oder histaminfreisetzende Nahrung sollten hierbei gemieden werden. Natriumglutamat, gerne in der asiatischen Küche eingesetzt, findet sich als Mononatriumglutamat z. B. in Sojasaucen. Die Beschwerden, die nach dessen Konsum bei Menschen mit Histaminunverträglichkeit auftreten, werden sogar als „Chinarestaurant-Syndrom“ beschrieben. Aufgrund der häufigen Unverträglichkeiten von Medikamenten, die mit dem Histaminstoffwechsel interferieren, sollte, wenn möglich, bei Patienten, bei denen diese Medikamente im Verdacht stehen, die Histaminintoleranz ausgelöst oder verschlechtert zu haben, auf deren Gabe verzichtet werden. Bitte sprechen Sie mit einem Arzt oder einer Ärztin darüber und setzen sie keinesfalls Medikamente einfach ab, die sie verordnet bekommen haben.
Sie können auch prophylaktisch Antihistaminika (z. B. die gängigsten und frei verkäuflichen Wirkstoffe Loratadin, Cetirizin, Desloratadin und Levocetirizin) einnehmen, wenn der Verzehr histaminreicher Nahrungsmittel nicht vermieden werden kann. Bei einer konsequenten Diät scheinen Antihistaminika aber keinen wesentlichen zusätzlichen Nutzen zu erzielen. Es gibt auch Kapseln mit dem Stoff Diaminooxidase. Hiermit führen Sie Ihrem Körper das Enzym zu, das zum Abbau von Histamin notwendig ist. Es ist in Deutschland als diätetisches Lebensmittel bei Histaminintoleranz frei erhältlich. Die Studienlage hierzu ist positiv und belegt die Wirkung und Sinnhaftigkeit der Einnahme.
Gut zu wissen!
Nach dem abendlichen Glas Rotwein auf der Couch juckt die Haut und Sie fragen sich: Ist das wirklich eine Histaminunverträglichkeit? Dann zögern Sie nicht: Nutzen Sie den 24-Stunden-Service unseres Kooperationspartners TeleClinic und lassen Sie sich von Fachärzten jederzeit beraten.