Wie viel Zucker ist gesund?

Zucker ist ungesund – das wissen die meisten Erwachsenen. Und so versuchen viele von ihnen mehr oder weniger erfolgreich, bei der eigenen Ernährung auf Süßes zu verzichten. Doch wie sieht es aus, wenn ein Kind auf die Welt kommt? Ist es ratsam, es ganz ohne Zucker zu erziehen? Und wo lauern die versteckten Tücken der zuckerfreien Ernährung? Wir haben den Kinderarzt Dr. Martin Köhrer im Interview dazu befragt.

Herr Dr. Köhrer, was macht Zucker – insbesondere für Kinder – so gefährlich?

Dr. Martin Köhrer: Zucker ist in jeder Hinsicht ungesund für den Körper. Zunächst einmal kann ein übermäßiger Zuckerkonsum schnell dazu beitragen, dass ein Kind zu viel Körperfett aufbaut. In Deutschland ist inzwischen jedes siebte Kind übergewichtig.¹ Das Übergewicht wiederum steht häufig am Anfang einer ganzen Reihe schwerer gesundheitlicher Folgen wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Man muss sich vorstellen: Früher bezeichnete man Typ-2-Diabetes als „Alterszucker“ – heute erkranken bereits Jugendliche daran. Eine einseitige Ernährung, wie sie durch zu viel Zucker entsteht, bringt zudem die Darmflora aus dem Gleichgewicht. Hinzu kommt, dass Zucker regelrecht süchtig macht. Das gilt auch bei Erwachsenen, aber bei Kindern ist es besonders fatal, denn in den ersten beiden Lebensjahren bildet sich der Geschmacksinn. Nehmen die Kinder in dieser Zeit regelmäßig Zucker zu sich, passt sich ihr Geschmacksinn den süßen Produkten an. Mit süßen Säften und Ähnlichem gewöhnen Eltern bereits ihre Babys an den Geschmack von Zucker und machen sie so abhängig von einem Stoff, der ihnen schadet.

Ist denn ausschließlich Zucker in Form von Süßigkeiten schädlich oder lauert die Zuckerfalle auch in anderen Lebensmitteln?

Dr. Martin Köhrer: Wenn wir im Alltag von Zucker sprechen, meinen wir in der Regel industriell hergestellten Zucker. Es gibt aber auch Zuckerarten, die ein natürlicher Bestandteil von Lebensmitteln sind. Fructose beispielsweise ist eine Zuckerart, die in Obst zu finden ist. Und Lactose ist der in Milch und Milchprodukten enthaltene Zucker. Ernährungswissenschaftlich betrachtet gehören alle Zuckerarten zu den Kohlenhydraten. In einem gewissen Maß benötigt der menschliche Körper Kohlenhydrate ebenso wie Eiweiße und Fette, um Energie zu gewinnen. Aber: Die Menge an Kohlenhydraten, die wir als Bestandteil der natürlichen Lebensmittel aufnehmen, ist bereits völlig ausreichend, um unseren Energiebedarf zu decken. Zusätzliche Kohlenhydrate in Form von Industriezucker brauchen wir nicht.

Warum geben so viele Eltern ihren Kindern dennoch Zucker?

Dr. Martin Köhrer: Meines Erachtens kommen da oft Unwissenheit und Bequemlichkeit zusammen. Viele Eltern wissen tatsächlich nicht, wie viel Zucker in den Lebensmitteln stecken, die sie ihren Kindern täglich anbieten. Eine Studie zeigte jüngst, dass 74 % der Eltern den Zuckergehalt der meisten Nahrungsmittel und Getränke unterschätzen, und zwar zum Teil ganz erheblich.² Gleichzeitig stellte sich übrigens heraus, dass die Kinder der betreffenden Eltern auch häufiger übergewichtig sind. Aber es ist eben leider auch so, dass etliche Mütter und Väter allzu schnell zum Keks oder zur Saftflasche greifen, um ihr schreiendes Kind zu besänftigen. Auf diese Weise nehmen viele Kinder über den Tag verteilt eine enorme Menge Zucker zu sich. Man darf ja nicht vergessen, dass Kinder einen viel geringeren Energieverbrauch haben als Erwachsene. Die Relationen kann man sich ganz einfach veranschaulichen: Trinkt ein Kind, das zehn Kilogramm wiegt, beispielsweise ein Fläschchen Saft, so entspricht das übertragen auf den Vater mit 90 Kilogramm neun Fläschchen, also einer sehr großen Menge – das ist den meisten Eltern gar nicht klar.

Plädieren Sie dafür, dass Eltern ihre Kinder ganz zuckerfrei ernähren?

Dr. Martin Köhrer: Nein, auf jeglichen Zucker zu verzichten wäre auch nicht gesund. Meine Empfehlung ist ein sehr bewusster Umgang mit Zucker – Süßes muss etwas Besonderes sein, die absolute Ausnahme. Und das sollte man seinem Kind auch genau so klarmachen.

Was raten Sie Eltern?

Dr. Martin Köhrer: Ich möchte sie ermutigen, häufiger mal „Nein“ zu Zucker zu sagen. Eltern sollten sich klarmachen, dass sie ihr Kind damit nicht einschränken, sondern es vor etwas bewahren – und das ist ein großer Unterschied. Vor einer Steckdose oder der heißen Herdplatte beschützen sie ihr Kind ja auch – im Grunde tun sie genau dasselbe, wenn sie „Nein“ zu Zucker sagen. Außerdem möchte ich werdenden Eltern empfehlen, sich frühzeitig mit dem Thema Kinderernährung auseinanderzusetzen – am besten schon während der Schwangerschaft, denn wenn das Kind erst mal auf der Welt ist, fehlt meistens die Zeit dazu.

Kinder zuckerfrei ernähren? Mit diesen acht Tipps klappt’s!

Valerie Keilhau und Griselda Welsing sind selbst Mütter und haben sich zum Ziel gesetzt, ihre Kinder zuckerfrei zu ernähren. Das heißt: Sie verzichten (weitestgehend) auf Haushaltszucker und in den ersten zwei Lebensjahren auch auf sogenannte Zuckerersatzstoffe wie Honig, Agavendicksaft & Co. Auf ihrer Website und bei Instagram berichten sie aus ihrem Leben ohne Zucker. Wie man die kleinen Herausforderungen des zuckerfreien Alltags mit Kindern meistert, haben sie uns in folgenden Tipps verraten.

 

  1. Grundsätzlich gilt: Verbote bringen gar nichts, denn spätestens im Schulalter haben Eltern nur noch begrenzt Einfluss darauf, was ihre Kinder essen. Bis dahin sollten diese also selbst ein Gefühl für Nahrungsmittel entwickelt haben.
  2. Vorleben ist besser als Vorbeten – das gilt übrigens auch für die Väter. Wer selbst Cola trinkt und gesüßtes Müsli frühstückt, wird seine Kinder nicht davon überzeugen können, weniger Zucker zu essen.
  3. Probieren Sie beim Kochen und Backen doch mal zuckerfreie Alternativen aus. Viele Kuchenrezepte funktionieren ohne Zucker. Beliebt bei Kindern ist zum Beispiel Banana Bread. Grießbrei und Pfannkuchen schmecken auch zuckerfrei, wenn man frisches Obst dazu serviert und nur Zimt statt Zimt und Zucker verwendet.
  4. Auch unterwegs mit Baby oder Kleinkind ist der Verzicht auf Zucker kein Problem: Füllen Sie in die Trinkflasche ausschließlich Wasser – so wird Ihr Kind später keine Apfelschorle vermissen. Als Knabberei im Kinderwagen ist frisches Obst wie Mandarinen oder kernlose Trauben eine super Alternative zu Zwieback und Kinderkeksen, in denen meist Zucker oder Ersatzstoffe wie Honig & Co. stecken. Und beim Bäcker greifen Sie zum Dinkel- oder Roggenbrötchen ohne Kerne statt zum süßen Milchbrötchen.
  5. Kinder lieben Routinen – das gilt auch für die Ernährung, zum Beispiel leckeren Porridge statt Cornflakes und heiße Milch statt Kakao am Morgen. So machen Sie das zuckerfreie Frühstück zur gelebten (und geliebten) Normalität.
  6. Ab und zu etwas Süßes ist in Ordnung. Verabreden Sie sich zum Beispiel für einen bestimmten Tag mit Ihrem Kind zum Eis essen, dann bleibt es etwas Besonderes. Auch bei Einladungen zum Kindergeburtstag sind Ausnahmen völlig okay, denn das Kind wird schnell zum Außenseiter, wenn es als Einziges keine Limo trinken darf.
  7. Sobald Ihr Kind groß genug ist, beziehen Sie es beim Einkaufen und Kochen mit ein – nur so bekommt es ein Gefühl für frische und abgepackte Ware. Denn: In über 70 % unserer verpackten Nahrungsmittel versteckt sich Zucker.
  8. Für Kinder im Schulalter ein echter Spaß mit Aha-Effekten für die ganze Familie: das Zucker-Versteckspiel. Stellen Sie verschiedene Lebensmittel, die Kinder typischerweise gern essen, auf den Tisch. Jedes Familienmitglied darf nun tippen, wo am wenigsten und wo am meisten Zucker drinsteckt. Dazu bekommt jeder einige Zuckerstückchen und legt sie der Schätzung entsprechend vor die Produkte. Ketchup, Tortellini, Tomatensoße, Tiefkühlpizza und Fruchtjoghurt sorgen meistens für die größten Stauner.
Zwei junge Frauen stehen lachend zusammen.
© Bild: Griselda Welsing und Valerie Keilhau

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