Beckenbodentraining
Warum sich Beckenbodentraining für jeden Menschen lohnt und welche Übungen ihn stärken, verrät Sport- und Physiotherapeut Eser Cankaya.
Was ist Beckenbodentraining?
Beim Thema Beckenboden denken viele zunächst an Frauen – doch auch bei Männern erfüllt diese Muskelgruppe wichtige Funktionen.
Dass der Beckenboden eher wenig Beachtung findet, hat er möglicherweise seiner versteckten Lage zu verdanken: Wie der Name schon sagt, ist der Muskel im Boden der Beckenhöhle zu finden. „Auch wenn die Bezeichnung ,Boden’ eher statisch klingt, ist der Beckenboden tatsächlich ein kraftvolles und dynamisches Geflecht aus Muskelplatten, das rundum am Becken befestigt ist“, erklärt Eser Cankaya. „Gemeinsam mit dem Zwerchfell sowie der Bauch- und Rückenmuskulatur bildet der Beckenboden das sogenannte Rumpfkapselsystem, das den normalen Druck im Bauchraum aufrechterhält und die Körpermitte stärkt.“
Der Beckenboden – ein echter Leistungsträger
Die Beckenbodenmuskulatur hat viele wichtige Aufgaben: Sie trägt das Gewicht der Organe im Bauchraum und ist dafür verantwortlich, dass die Schließmuskeln von Blase und Darm funktionieren. „Ein starker Beckenboden trägt zu einer guten Körperhaltung bei und hilft so zum Beispiel, Rückenschmerzen zu vermeiden“, schildert der Experte. „Darüber hinaus sorgt sie für die Drehstabilität des Oberkörpers und eine gute Kraftentwicklung. Beim Sport bildet der Beckenboden eine stabilisierende Basis und kann sich sogar leistungssteigernd auswirken.“ Bei Frauen ist der Beckenboden zudem während einer Schwangerschaft die wichtigste Stütze für die Gebärmutter und das Ungeborene. Trainierte und flexible Muskeln erleichtern die Geburt und schützen vor Verletzungen. Bei der Geburt werden die Muskeln stark gedehnt – ein gezieltes Training hilft dem Beckenboden dann, wieder in die alte Form zurückzufinden. Aber nicht nur Frauen sollten ihren Beckenboden trainieren, sondern auch Männer. Denn: „Schwindet die Kraft der Beckenbodenmuskulatur, kann das zu erheblichen Problemen führen – von Rücken-, Leisten und Bauchschmerzen über ein Dranggefühl in der Blase bis hin zu Inkontinenz.“

Mit der Atmung den Beckenboden ansteuern
Doch wie trainiert man einen Muskel, den man noch nie bewusst wahrgenommen hat? „Ein wichtiger Bestandteil jedes Beckenbodentrainings ist die Atmung“, so der Experte. „Häufig haben wir nie richtig gelernt unsere Atmung zu steuern, dabei eignen sich ganz einfache Atemtechniken super dazu, den Beckenboden anzusteuern und ihn so zu stärken.“ Bei jeder Ein- und Ausatmung bewegt sich der Beckenboden mit. Beim Einatmen füllt sich die Lunge mit Luft, wobei sie mit dem Zwerchfell die Organe nach unten auf den Beckenboden schiebt. Beim Ausatmen wird der Bauch wieder flacher, das Zwerchfell wandert nach oben und mit ihm „rutschen“ die Organe wieder nach oben. Gleichzeitig erhöht sich die Spannung des Beckenbodens, der Beckenboden hebt die Organe wieder an.
Beckenbodenübungen: Einfach, aber effektiv
Beim Beckenbodentraining geht es also zunächst darum, die Muskeln richtig wahrzunehmen und anzusteuern. Sobald das gelingt, lässt sich das Training in jede Übung im Fitnessstudio integrieren, kann aber auch ganz nebenbei bei der Arbeit oder beim Warten auf den Bus absolviert werden. Eser Cankaya hat einige effektive Übungen zusammengestellt.
Stelle dir eine Uhr um deinen Bauchnabel vor. Über dem Bauchnabel liegt die 12. Unter dem Bauchnabel die 6. Jetzt lege dich flach auf den Rücken, die Beine angewinkelt, die Hände am Becken und atme tief ein und aus. Mit der Einatmung kippt dein Becken auf die 6, sodass sich dein Hohlkreuz verstärkt. Mit der Ausatmung ziehst du deinen Bauchnabel nach hinten in Richtung Wirbelsäule und kippst dein Becken auf die 12. Anschließend beginnst du wieder von vorn.
Nimm dieselbe Ausgangsposition wie bei der vorherigen Übung ein. Jetzt verfeinerst du die Übung weiter, indem du dein Becken mit jeder Ausatmung eine Stunde weiterkippst. Also: Du atmest ein und kippst dein Becken auf die 6. Jetzt atmest du aus und kippst dein Becken auf die 1. Dann geht es wieder auf die 6 und anschließend auf die 2. So rückst du immer eine Zahl weiter, zwischendurch kehrst du immer wieder zur 6 zurück.
Bei den beiden vorherigen Übungen hast du ein Gespür dafür bekommen, wo dein Beckenboden sitzt und wie es sich anfühlt, ihn anzuspannen und zu lockern. Dies setzt du nun im Sekundentakt um, sodass die unterste Beckenbodenschicht behutsam „angetickt“ und dann wieder losgelassen wird. Diese Übung lässt sich im Liegen, Sitzen und Stehen absolvieren und so ganz leicht in den Alltag integrieren. Idealerweise schaffst du es, sie jeden Tag 100-mal zu machen.
Sport- und Physiotherapeut Eser
Eser Cankaya ist Sport- und Physiotherapeut sowie Athletik-Trainer. Während seiner bisherigen Laufbahn war er unter anderem für die Fußball-Oberliga und den FC St. Pauli (U19, U23, Nachwuchsleistungszentrum) tätig. Seit 2014 ist er selbstständig und betreut zahlreiche Profisportler und Vereine. 2019 hat er seine eigene Praxis in Hamburg eröffnet. Sein Motto: Fit werden kann jeder, fit bleiben nicht.
