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Familie 02/2021
Ein kleiner Junge liegt mit seinem Kopf auf einem Tisch und blickt schüchtern in die Kamera

Schüchtern, na und? – Wie man schüchterne Kinder im Alltag richtig begleitet

„Das muss er sich jetzt aber mal trauen!“, „Immer nimmst du sie hoch, wenn sie das will! So wird sie nie Kontakt zu anderen Kindern haben.“, „Warum begrüßt er mich denn nicht?“ Und zum Kind: „Du magst mich wohl nicht mehr!“

Sätze wie diese kennen Eltern von schüchternen Kindern nur zu gut. Oft sind sie nicht mal böse gemeint – verletzend können sie trotzdem sein. Für das Kind und für die Eltern. Pädagogin Inke Hummel kämpft in ihrem neuen Ratgeber für ein besseres Image der Schüchternheit. Mit uns spricht sie darüber, wie wir als Eltern unsere Kinder stärken und begleiten, wie man mit unangemessenen Kommentaren umgeht und welche Vorteile es hat, schüchtern zu sein.

privat
Inke Hummel ist Pädagogin und Inhaberin der Familienbegleitung „sAchtsam Hummel“, Leiterin für Eltern-Kind-Kurse und Buchautorin. Nach „Miteinander durch die Pubertät“ ist jetzt ihr zweites Buch, „Mein wunderbares schüchternes Kind“, erschienen. Daneben veröffentlicht sie noch die „Mönkel“-Reihe, Geschichten über die Geheimagenten-Abenteuer, die der gleichnamige Kinderbuchheld bei den Spaziergängen mit seiner Mutter erlebt. Inke Hummel ist Mutter von drei Teenagern.
© captivation.de

Mobil Krankenkasse: Frau Hummel, warum wird es immer noch als Problem angesehen, wenn ein Kind schüchtern ist?

Inke Hummel: Schüchternheit wird in der Gesellschaft nicht neutral, sondern sehr negativ gesehen, da sie immer noch als Gegensatz zum Selbstbewusstsein aufgefasst wird. Wer schüchtern ist, heißt es, ist verhuscht und traut sich nichts. Aber wenn ich meinem Kind Zeit gebe, mit ihm Situationen im Vorfeld übe, kann es mit der Zeit lernen, sehr selbstbewusst zu handeln. Denn es gibt schüchterne erwachsene Menschen, die mit ihrem Wesenszug sehr selbstbewusst umgehen. Dafür brauchen sie aber anfangs immer etwas mehr Vorbereitung und ein größeres Sicherheitsnetz als andere. Das ist jedoch allgemein in der Gesellschaft nicht verankert. „Schüchtern“ ist leider keine neutrale Temperamentsbeschreibung, sondern hat oft diese negative Auslegung und es ist mir ein großes Anliegen, dies mit meinem Buch, aber auch in meiner täglichen Arbeit, zu ändern.

Mobil Krankenkasse: Oft wird von den Eltern oder dem Umfeld ein Grund für schüchternes Verhalten bei Kindern gesucht. Aber wie ist es wirklich: Ist Schüchternheit eigentlich angeboren oder kann sie auch erlernt sein?

Inke Hummel: Beides. Zunächst einmal ist sie eine angeborene Temperamentsausprägung. Das heißt, dass diese Menschen ein bisschen reizoffener und mit sensiblerer Risikobewertung in die Welt gehen und sich dann etwas zurücknehmen, um mit diesen vielen ungefilterten Reizen zurechtzukommen. Dann gibt es noch schüchternes Verhalten bei Menschen, die mit ganz anderen Temperamenten auf die Welt gekommen sind. Oft hängt das mit bestimmten Entwicklungsphasen zusammen: So kann es zum Beispiel bei der Eingewöhnung in die Kita oder beim Schulstart plötzlich eine Rolle spielen. Ein anderer Auslöser ist ein sehr autoritäres Elternhaus, welches dem Kind keinen Raum gibt zu sein, wie es ist. Und auch große Brüche im Leben können ein schüchternes Verhalten auslösen: eine Trennung der Eltern oder der Verlust einer engen Bezugsperson. Aber all das ist nicht so etwas Grundlegendes wie ein schüchternes Temperament, denn das bleibt ein Leben lang.

Die größte Herausforderung für Eltern ist, sich auf ihr Kind und sein Temperament einzulassen.

Inke Hummel

Mobil Krankenkasse: Welche Herausforderungen ergeben sich für Eltern schüchterner Kinder?

Inke Hummel: In meinen Beratungen stelle ich immer wieder fest, dass es die größte Herausforderung für Eltern ist, sich auf ihr Kind und sein Temperament einzulassen. Dabei hilft es, genau hinzugucken: Was braucht mein Kind? Was fehlt ihm vielleicht und womit ist es selbst ganz glücklich? An schüchterne Kinder wird sehr viel von außen herangetragen: Der Kindergarten fordert bestimmte Dinge, das Umfeld ebenfalls und wir selbst als Eltern haben ja auch so unsere Vorstellungen im Kopf, wenn wir sehen, dass unser Kind immer alleine spielt, keine Freunde hat oder bestimmte Hobbys nicht macht, die andere gerne machen. Schnell ist man als Elternteil dann dabei zu denken, „Müssen wir da nicht was machen?“, anstatt zu hinterfragen und genau hinzuspüren, was unser Kind möchte. Vielleicht ist es ja glücklich, so wie es ist. Vielleicht spielt es gerne Schach gegen sich selbst oder ihm reicht ein guter Freund, den es einmal die Woche sieht. Das ist ein Punkt, den wir als Eltern lernen müssen: zu gucken, was mein Kind wirklich braucht und was nicht. Und nicht, was die Erwartungen des Umfelds sind.

Mobil Krankenkasse: Kann sich Schüchternheit eigentlich „herauswachsen“ oder ist sie immer da und das Kind (und später der Erwachsene) lernt einfach nur so damit umzugehen, dass es in der Gesellschaft nicht weiter auffällt?

Inke Hummel: Ein Temperament bleibt, aber ich kann den guten Umgang damit lernen. Denn auch schüchterne Menschen können sehr extrovertiert sein und sogar einen Job haben, in dem sie sehr präsent sind, vehement auftreten und viele Menschen leiten müssen. Wenn sie in jungen Jahren gelernt haben, genau hinzugucken und für sich zu sorgen, kann man als Außenstehender das Gefühl bekommen, dass die Schüchternheit nicht mehr da ist – dabei hat der Mensch sie einfach nur gut kennengelernt. Das ist möglich. Viele Elternteile, mit denen ich im Rahmen meiner Beratung spreche, erzählen, dass sie jetzt im Erwachsenenalter gut mit ihrer eigenen Schüchternheit zurechtkommen. Sie hätten sich aber gewünscht, früher zu Hause anders unterstützt zu werden, damit ihr Weg dorthin nicht so beschwerlich gewesen wäre.

Mobil Krankenkasse: Oft ist es so, dass schüchternes Verhalten in der Kita noch eher toleriert wird als in der Schule. Im Unterricht werden die zurückhaltenden Kinder immer wieder aufgefordert, sich mehr zu melden, zu beteiligen oder auch ein Referat vor der Klasse zu halten. Ab wann sollte ich ins Gespräch mit den Lehrkräften gehen, um meinem Kind den Start und den weiteren Weg im Schulalltag zu erleichtern?

Inke Hummel: Ich würde vor dem Schulstart raten, individuell zu gucken, was das Kind braucht, um gut zu starten. Vielleicht möchte es vorher den Schulweg, das Gebäude und den Ablauf kennen. Ist das so, empfiehlt es sich, sich zunächst darauf zu konzentrieren und das Kind erst einmal ankommen zu lassen, um dann im Verlauf der ersten Zeit zu gucken, ob und wie viel ich überhaupt eingreifen muss. Dabei sollte ich als Elternteil dennoch immer aufmerksam sein und genau hinhören. Kommt von der Schule ständig nur Kritik oder merke ich, mein Kind mag nicht mehr gerne hingehen oder äußert bestimmte Ängste, wie sich zu melden und vor der Klasse zu sprechen, dann ist es sinnvoll, als Eltern in das Beziehungsdreieck einzusteigen. Dieses sogenannte Beziehungsdreieck setzt sich aus Eltern, Lehrkraft und dem Kind zusammen und hat unter anderem den Vorteil, dass nicht über, sondern mit dem Kind geredet wird. So haben auch die Lehrenden Gelegenheit zu erfahren, was hinter dem Verhalten des Kindes steckt. Schüchterne Kinder wirken oft desinteressiert, manchmal auch ein bisschen überheblich. Hier kann geklärt werden: Was spüren wir zu Hause? Was erzählt das Kind? Was wünscht es sich für den Unterricht? Was ist der Lehrkraft möglich? In diesem Austausch kann gemeinsam nach anderen Wegen und Möglichkeiten für das Kind und die Lehrkraft geguckt werden. Viele Lehrerinnen und Lehrer, mit denen ich gesprochen habe, sind da zum Glück sehr offen und gehen auch schon ganz tolle neue Wege, weil es nicht selten ist, schüchterne Kinder in der Klasse zu haben. Ich habe kürzlich gelesen, dass es sogar immer mehr in Lehrerfortbildungen thematisiert wird. Und es gibt so viele gute Möglichkeiten, auch diese Kinder zu unterstützen: Kleine Arbeitsgruppen sind so eine Lösung. Da muss das Kind nicht vor dreißig, sondern nur vor fünf Leuten sprechen. Toll ist natürlich, wenn die Ideen von der Lehrkraft selbst kommen und sie hier auch schon Erfahrung hat. Ansonsten ist das Gespräch im Beziehungsdreieck eine gute Möglichkeit, gemeinsam neue Wege zu entdecken.

Das Buchcover des Ratgebers "Mein wunderbares schüchternes Kind" von Inke Hummel.
© humboldt Verlag

Mobil Krankenkasse: Wann kann große Schüchternheit zu einem echten Problem werden?

Inke Hummel: Das kann passieren, wenn das Kind an irgendeiner Stelle leidet. Zum Beispiel wenn es immer wieder von Freunden oder Geschwistern untergebuttert wird. Wenn es nicht mehr gerne in die Kita oder in die Schule geht oder, im extremsten Fall, das Haus nicht mehr verlassen möchte. Zusammengefasst: wenn es sich nicht mehr in Situationen begibt, die eigentlich Lernmomente sein könnten. Bemerke ich als Elternteil, dass es immer mehr zum Problem wird, sich in Situationen außerhalb der Familie zu begeben, und dies anfängt, das Familienleben zu belasten, weil alle immerzu damit beschäftigt sind, darüber nachzudenken, wie sie das Kind zu etwas bewegen lässt, dann muss gehandelt werden. Mit meinem Buch möchte ich dabei unterstützen, rechtzeitig diese Momente zu bemerken und zu gucken, was man zu Hause tun kann. Denn die beste Hilfe ist immer die heimische Unterstützung durch die Familie im gewohnten Umfeld. Durch die eigenen Eltern oder durch jemanden, den man vielleicht noch von außen mit dazuholt, eine Vertrauensperson für das Kind wie einen Paten zum Beispiel. Kommt man so nicht weiter, stagniert die Situation oder verschlechtert sich, sollte man mit jemandem in Kontakt treten, der sich intensiver damit beschäftigt, ob man als Eltern noch auf dem richtigen Weg ist oder vielleicht auch etwas falsch macht und noch eine andere Lösung möglich wäre. Das kann eine Familienberatung oder auch jemand aus dem Bereich der Kinder- und Jugendpsychologie sein. Denn wenn es sich um mehr als Schüchternheit – eventuell eine psychologische Störung – handelt, braucht unser Kind mehr als heimische Hilfe.

Mobil Krankenkasse: Gerade Großeltern haben manchmal große Probleme, mit dem etwas anderen Temperament ihres Enkelkindes umzugehen, zum Beispiel wenn es sich ihnen gegenüber sehr zurückhaltend zeigt, und geben dann schon mal beleidigt sehr unpädagogische Aussagen von sich: „Du willst mich nicht begrüßen, ja hast du mich denn nicht mehr lieb?!“ Wie geht man in diesen Momenten mit den eigenen Eltern oder Schwiegereltern um?

Inke Hummel: Das ist in vielen Familien ein großes Thema. Viele Eltern fragen sich in so einem Moment, wie sie solche Situationen emotionaler Erpressung abwehren, ohne dass das Kind sich schlecht fühlt. In jedem Fall sollte man mit der betreffenden Person später noch einmal ohne Kinderohren ins Gespräch gehen und klären, was hinter dem Verhalten des schüchternen Kindes steckt. Das ist ja nichts Persönliches und übrigens etwas, das auch Eltern sehr gut kennen: Mal geht nur Mama und dann wieder darf Mama nichts, weil nur Papa angesagt ist. Diese besonderen Kinder brauchen einfach Zeit und einen Invest in ihr Sicherheitsgefühl. Das bedeutet für die abgelehnte Person, immer wieder zaghafte Beziehungsangebote zu machen und sich, wenn das Kind bereit dazu ist, sehr genau darauf einzulassen. So spürt das Kind: In dieser Beziehung bin ich sicher. Gleichzeitig sollte man als Elternteil mit dem Kind altersgerecht darüber reden, was in solchen Situationen passiert, und gemeinsam mit ihm überlegen, wie man das beim nächsten Mal anders händeln könnte. Letzten Endes ist es wichtig zu gucken, ob die Beziehung zu der abgelehnten Person jetzt so stattfinden kann. Da spielt es natürlich eine Rolle, ob der Erwachsene die Situation in dem Moment so annehmen kann oder ob es von seiner Seite zu einer Gegenwehr kommt. Dann kann es sinnvoll für die Entwicklung des Kindes sein, diese Beziehung für den Moment zu pausieren, wenn es möglich ist. Manchmal ist aber gerade das natürlich schwierig.

Mobil Krankenkasse: Mein schüchternes Kind würde so gerne einem Hobby nachgehen, traut sich aber nicht zu, allein bei einer Gruppenaktivität zu bleiben. Wie kann ich es hier unterstützen, wenn es doch so gerne einen Malkurs machen oder im Verein einer Mannschaftssportart nachgehen möchte?

Inke Hummel: Das Problem kann man auf verschiedene Arten lösen. Als Elternteil kann ich zum Beispiel gucken, ob das Hobby in einer Einzelbetreuung möglich ist. Vielleicht finde ich einen Künstler, eine Handwerkerin oder eine Sportstudentin, die das mit meinem Kind zusammen macht. So hat das Kind die Möglichkeit, aus den üblichen Gruppenstrukturen auszubrechen und gleichzeitig zu sehen, dass es auch eine andere Beziehung eingehen kann. Positiver Nebeneffekt: Es kann seinen Selbstwert steigern, indem es einem Hobby nachgeht, was ihm sehr liegt und guttut. Etwa ab dem Grundschulalter kann ich mit meinem Kind in solchen Fällen außerdem in den Austausch gehen. Was ängstigt es an der Trainings- oder Gruppensituation? Findet man Antworten, kann man vielleicht (gemeinsam) mit dem Trainingspersonal oder der Gruppenleitung sprechen, was daran erschreckend sein könnte und wie man gemeinsam damit umgeht. Oder das Kind bekommt die Möglichkeit, erst einmal ganz anders an der Gruppe teilzunehmen. Vielleicht kann es zunächst bei den jüngeren Kindern mitmachen und dabei so etwas wie eine kleine Trainerrolle übernehmen? Das alles gibt dem Kind Zeit, sich Stück für Stück auf die neue Situation einzulassen. Ohne unsere Hilfe besteht die Gefahr, dass die schüchternen Kinder hier in eine Passivität reinrutschen und sich so ihrer Angst hingeben, statt diese aktiv anzugehen. Es ist wichtig, als Eltern gut zu unterstützen und – statt zu überfordern mit Sätzen wie: „Jetzt gehst du einfach mal dahin, verdammt nochmal!“ – die Kinder mit einem animierenden „Was glaubst du, was dir noch helfen kann?“ oder „Wie kann ich dich unterstützen, damit du das auch machst?“ aus ihrer Passivität herauszuholen.

Fordern, aber nicht überfordern! Fordern, aber nicht zwingen! Stress mindern! Lass dein Kind aktiv werden!

Inke Hummel in "Mein wunderbares schüchternes Kind"

Mobil Krankenkasse: Darf ich mein schüchternes Kind in solchen Situationen auch einmal sanft „anschubsen“? Und wenn ja, wie kann das aussehen?

Inke Hummel: Wenn ich herausgefunden habe, dass mein Kind eine Hürde in der Freizeit sehr belastet, kann ich auch mal sehr bestimmt sagen: „Wir gehen da jetzt jede Woche hin. Ich komme mit und wir machen alles, von dem wir uns im Vorfeld überlegt haben, was dir helfen kann, um an der Gruppe teilzunehmen, aber wir sagen nicht ab. Wenn es dich dort sehr anstrengt, gehen wir zur Not auch mal nach der halben Zeit, aber wir gehen hin.“ Ganz wichtig ist es, dem Kind zugewandt in diese Situationen hineinzugehen und darauf zu achten, dass es nicht anfängt, von vornherein jede Hürde zu vermeiden.

In der Beratung bemerke ich oft – und das sagen auch kinderpsychotherapeutische Fachkräfte –, dass manche Eltern zu sehr schützen wollen und damit ihrem schüchternen Kind nicht guttun. Im Gegensatz zu vor dreißig, vierzig Jahren, da war es eher das andere Extrem: Damals haben die Eltern ihre schüchternen Kinder nicht geschützt. Da hieß es oft nur: „Jetzt mach doch einfach mal“ und das Kind wurde mit der Überforderung allein gelassen. Jetzt geht es ein bisschen in die andere Richtung, da muss man die Balance finden.

Mobil Krankenkasse: Wie fördere und fordere ich mein jugendliches Kind, seinen Alltag zu meistern und sich gut auf sein Leben vorzubereiten? Als schüchterner Mensch ins Leben hinauszutreten und für mich selbst zu sorgen und selbst Verantwortung zu tragen, bedeutet ja auch, an vielen Stellen meine Schüchternheit zu überwinden.

Inke Hummel: Zunächst gilt es zu gucken: Was sind die Ziele und welche Dinge fallen dem schüchternen Jugendlichen auf dem Weg dorthin schwer? Hat er ein Hobby oder eine Leidenschaft, die ihn dazu bringen kann, sich selbst für die Ausübung zu überwinden? Hier geht es darum, Lernsituationen zu schaffen. Ich hatte beispielsweise zuletzt ein 14-jähriges Mädchen in der Beratung, die so schüchtern war, dass es ihr schwerfiel, Kontakt zu halten. Ob mit Freunden, um Dinge für oder mit der Schule zu klären, aber auch mit dem geliebten Reiterhof. Es ist eine Möglichkeit, in so einer Situation als Eltern darauf zu bestehen, dass das Kind bestimmte Dinge selbst klärt. „Ich weiß, dass dir das wichtig ist, aber ich werde jetzt nicht für dich die Mail schreiben oder das Telefonat führen. Das ist deine Aufgabe.“ Wunderbar helfen können auch vermeintliche Kleinigkeiten: So kann der schüchterne Teenager zum Üben vielleicht auch mal für die Familie bei der Bäckerei oder der Pizzeria anrufen, um eine Bestellung aufzugeben. So kann man die Kinder ein bisschen anschubsen und üben lassen, damit sie immer wieder kleinere positive Erfahrungen machen. Wenn sie dann irgendwann ausziehen, eine Ausbildung oder ein Studium beginnen wollen, haben sie diese Hürden (mit unbekannten Menschen zu sprechen und etwas mit ihnen zu vereinbaren) schon ein paar Mal übersprungen und gute Erfahrungen damit gemacht. Das ist ein wichtiger Punkt am schüchternen Gehirn: Es kann umlernen. Wenn ich immer wieder vermeide und vielleicht auch schlechte Erfahrungen mache, wird die Hemmschwelle, etwas zu tun, immer größer. Aber andersrum funktioniert es eben auch. Mache ich immer wieder kleine gute Erfahrungen, werde ich in diesen Bereichen immer sicherer und weiß beim nächsten Mal, dass mich etwas Positives erwartet. Das Gehirn verknüpft dann die Anforderung mit einem guten Gefühl – die Hemmschwelle sinkt.

Mobil Krankenkasse: Und zuletzt eine Frage, die alle Schüchternen vermutlich interessiert: Was ist der Vorteil, wenn man ein schüchterner Mensch ist?

Inke Hummel: Das finde ich ganz spannend: besonders, weil die Frage sehr selten gestellt wird. Dabei ist es so wichtig, auch die vielen Vorteile zu sehen. Ich hatte zum Beispiel einmal ein Gespräch mit einer Mutter, die zwei sehr wilde Kinder hatte und gesagt hat: „Ich hätte so gern auch ein schüchternes Kind.“ Der bekannteste Vorteil für die Eltern und das Umfeld ist, dass schüchterne Kinder nicht so fordern und sich übrigens auch weniger durch wagemutige Aktionen verletzen als wilde Kinder. Man sollte aber nicht vergessen, dass genau das: nicht laut sein zu können, auch ein Nachteil sein kann und sie dadurch leichter in einer Gruppe untergehen können.

Ein weiterer Vorteil ist, dass schüchterne Kinder oft sehr empathisch und sehr sensibel sind. Sie bekommen viele Dinge mit, die im zwischenmenschlichen Raum schwingen. Außerdem sind sie sehr soziale Menschen. Dadurch, dass sie von sich aus selten forsch in eine Situation hineingehen würden, geben sie sich die Zeit, die es braucht, sich sehr gut auf aktuelle Situationen und ihr Gegenüber einzustellen. Gerade wenn sie sich in den sensiblen Jahren von null bis zehn langsam und gut begleitet an ihr Temperament herantasten können, sind sie schon in der Pubertät sehr wertvoll für die Gruppe. Sie können sie zusammenhalten und sensibel auf zwischenmenschlicher Ebene reagieren, um das Gruppengefüge so zu stärken. Durch ihr zurückgezogenes Verhalten, das natürlich individuell sehr verschieden ist, sind schüchterne Kinder oft sehr intellektuell oder kreativ unterwegs. Hier haben sie die Möglichkeit, für sich zu sein, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen und sich intensiv mit etwas zu beschäftigen, ohne in einer großen Gruppe funktionieren zu müssen. Individuell gibt es natürlich sehr verschiedene, aber eben auch sehr viele Vorzüge von Schüchternheit. Das ist ein wichtiger Punkt, den die Eltern auch immer wieder betonen sollten. So lernt das Kind die schönen Seiten seines eigenen Temperamentes kennen und kann sie auch selbst gut annehmen.

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